Das Meer Afrikas - ein Katzensprung nach und von Tunesien

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Nur wenige Kilometer entfernt von unserem Haus und dem Olivenhain beginnt das "Mare d'Africa" (das Meer Afrikas), wie wir hier an der Südküste Siziliens unser Meer nennen. Es gibt wunderbare Strände, das Wasser ist klar. Aber heute möchte ich Euch nicht von unserem Meer erzählen, um Euch Lust auf die Badesaison zu machen. Es geht mir um das Mittelmeer, dass schon immer Völker und Kulturen verbunden hat, um einen Raum, zu dem ich gehöre, seitdem ich hier in Sizilien lebe. Am Ende unserer Olivenhaine beginnt die "Strasse von Sizilien", die Strasse, d.h. der Meeresabschnitt  zwischen Sizilien und Tunesien. An der engsten Stelle trennen uns nur 180 km von Tunesien. Das ist soviel wie von Köln an die Lorelei oder nach Münster, wie von Berlin nach Stetin oder auch Magdeburg. Ein Katzensprung. Wenn wir hier die Oliven ernten wissen wir, dass sie gleichzeitig in allen Ländern geerntet werden, die an das Mittelmeer grenzen, unsere Nachbarn! Und allein der Gedanke vereint!

Wenn die Luft klar ist, sehen wir die Berge der Insel Pantelleria (120km Entfernung) und von Pantelleria ist die Afrikanische Küste leicht erkennbar (noch nur 60km). Tunesien ist unser Nachbarland so wie für die Kölner es Belgien, Holland oder Frankreich sind. Von Menfi nach Hammerfest, im Norden Norwegens sind es 5500 km. Bis nach Ouagadougou, der Hauotstadt von Burkina Faso, sind es nur 4700 km.  Aber trotz dieser Lage Siziliens, mitten im Mittelmeer, nicht mitten in Europa wie Köln, trotz dieser kurzen Entfernung trennt uns von Tunesien und den Staaten auf der anderen Seite ein wirklich "Ëisernen Vorhang". Um diese kleine Strecke zu überbrücken riskieren täglich viele Menschen iht Leben und viele kommen dabei um ihr Leben, sie ertrinken in unserem wunderschönen Meer.
Die Boote starten in Tunesien oder in Lybien, kleine oder größere Boote. Unsere Nachbarn dürfen nicht -  so wie wir -  einfach ein Flugzeug besteigen, um in Europa einzureisen. Also liegt es nah, die kurze Entfernung zwischen Europa und Afrika mit dem Boot zurücklegen zu wollen, trotz der Angst vor dem grossen unbekannten Meer und seinen Gefahren und trotz aller Unsicerheit, was die Zukunft betrifft. Oft sind die Menschen schon seit Jahren auf dem Land unterwegs, sie fliehen aus unerträglichen Situationen und dann ist da nur noch dieser Katzensprung nach Lampedusa.
Die Insel Lampedusa ist ein Ferienparadies mitten im Mittelmeer mit einer Oberfläche von nur 20 km2 - so gross wie Spiekeroog. Geographisch und geologisch gesehen liegt die Insel in Afrika: 205 km von der Sizilianischen Küste und nur 133 km von Afrika entfernt ist sie aber Teil der Provinz Agrigento, obwohl sie südlicher als Tunis und Algier liegt.
Wie gesagt ein Ferienparadies aber auch das wichtigste Anlaufziel der Flüchtlingsboote. Wenn Sie Lampedusa bei google eingeben kommen sofort die Hotelzimmer, erst lange danach gibt es andere Notizen. Die Flüchtlinge in ihren Booten kommen nicht an den berühmten Stränden an und aus diesem Grund kann der Tourismus wie immer weiter gehen. Das ist wichtig, denn die nur rund 6000 Einwohner der Inseln Lampedusa und Linosa leben vom Fischfang und vom Tourismus. 
Aber die Boote kommen, trotz aller absurden Abkommen mit der lybischen Küstenwache, kommen sie, oder versuchen zu kommen, jeden Tag und wenn das Meer nicht zu aufgewühlt ist, kommen viele, mehr als 1000 Personen täglich, aus Tunesien, Lybien, Burkina Faso, Pakistan, Sudan und vielen Ländern mehr. Sie kommen, weil sie zuhause nicht bleiben können oder wollen,  aus vielen verschiedenen Gründen. Sie fliehen und riskieren alles was sie haben, auch das Leben. Jeden Tag hören und lesen wir in unseren Lokalnachrichten, wieviele Menschen wieder ertrunken sind und wieviele gerettet worden sind. Wir lesen von den Rettungsschiffen der NGOs, die aus Propagandagründen bis rauf nach Genua geschickt werden und dadurch 6 Tage verlieren bevor sie wieder eine neue Rettungsaktion starten können.Wir schauen auf unser Meer, das einst die Welten verbunden hat und heute eiserne Vorhänge zwischen der hoch zivilisierten Festung Europa und dem Rest der Welt ertragen muss. Wir schauen auf unser "Mare d'Africa" und verstehen die Welt nicht mehr. Wovor hat die Festung Europa Angst? Warum dürfen die Menschen nicht einfach kommen und versuchen, sich hier ein Leben aufzubauen? 
Wir haben genug Platz und auch Möglichkeiten, in Europa, in Italien, und auch hier bei uns. Allein Sizilien hat zwischen 2019 und 2022 mehr als 90.000 Einwohner verloren, es ist schwer hier qualifizierte Arbeiter für die Landwirtschaft zu finden, viele kleine Orte sterben langsam aus, die Menschen werden immer älter und bald wird es niemanden mehr geben, der für die Renten bezahlt. wir brauchen junge Leute, die unsere Gesellschaft beleben. 
Nordafrika und unsere schöne wenig besiedelte Insel mitten im Mittelmeer haben Vieles gemeinsam. Was hier wächst, wächst auch dort und viele Menschen kommen, die schon immer in der Landwirtschaft gearbeitet haben; sie können Olivenbäume schneiden, kennen die Trockenheit, die Jahreszeiten und die Hitze. Wir hatten einen Mitarbeiter aus Tunesien, der konnte viel und machte seine Arbeit mit Wisen und Geschicklichkeit. Sein italienisch war besser als das der meisten Leute hier, die oft nur den Dialekt benutzen. Aber alles wurde ihm schwer gemacht, seine Kinder waren hier geboren und aufgewachsen aber konnten erst mit 18 die italienische Staatsangehörigkeit beantragen, ohne die Garantie sie auch zu bekommen. Irgendwann hat er aufgegeben. Hat alles das einen Sinn? 
Vor ein paar Jahren habe ich diesesBuch von David Abulafia gelesen. Falls Ihr Euch nicht nur für unser Olivenöl sondern auch für unser "Mare d'Africa", der Meer in der Mitte, interessiert, rate ich Euch, es zu lesen. Über 3000 Jahre war das Mittelmeer eines der großen Zentren der Zivilisation. Seine gesamte Geschichte wird hier von dem Historiker David Abulafia brillant erzählt, von der Errichtung der ersten geheimnisvollen Tempel auf Malta 3500 v. Chr. bis zu den heutigen Zielen des Massentourismus. Farbig lässt er die Geschichte der großen Hafenstädte – Alexandria, Saloniki, Triest – wiederauferstehen, berichtet von deren Einwohnern, dem Warenaustausch und den Handelswegen, die das große Meer durchzogen. Eine unglaubliche Vielfalt an Religionen, Bevölkerungen, Sprachen und Kulturen verbindet er so zu einer der ganz großen Geschichtserzählungen.Es ist ein tolles Buch! 

Und wo ich schon einmal dabei bin, diesen Film solltet Ihr Euch auch ansehen. "Seefeuer" ist in Lampedusa gedreht und hat die Berlinade 2016 gewonnen. " Der Filmemacher Gianfranco Rosi hat sich ein Jahr lang auf Lampedusa mit seiner Kamera umgesehen und zeigt diesen Alltag auf der Insel. Er zeigt die Bewohner der Insel, die jeden Tag mit dem Schrecken der Flüchtlingskrise konfrontiert werden und die doch Distanz wahren müssen, um irgendwie ihr eigenes Leben fortführen zu können. Als bestes Beispiel hierfür dient der zwölfjährige Samuele, den Rosi immer wieder begleitet. Samuele geht zur Schule, spielt mit Freunden und in den Pinienwäldern. Rosi zeigt ihn nie in der direkten Konfrontation mit den fürchterlichen Zuständen an der Küste, verwendet harte Schnitte, um den Alltag der Bewohner und die Situation der Flüchtlinge und der Helfer und Ärzte gegenüberzustellen. Einen Kommentar gibt es nicht, die eindrucksvollen und mit großer Ruhe montierten Bilder sprechen für sich und überlassen dem Zuschauer die kontextuelle Verbindung. Die Bilder der Flüchtlinge, die kraft- und hilflos an Bord der Rettungsschiffe kommen, sind in ihrer Eindringlichkeit so einprägsam, dass sie vom Zuschauer sicherlich erst im Nachgang zugeordnet und auch verarbeitet werden können. Die Dramatik der Situation schwingt auch im Alltag der Inselbewohner mit, ohne dass groß darüber gesprochen wird. Rosi zeigt mit seiner Kamera Menschen und Schicksale, stellt sie jedoch nie voyeuristisch aus. Er versetzt den Betrachter in die Rolle des unmittelbaren Zeugen einer existenziellen Situation. Von flüchtenden Menschen zwischen Leben und Tod..."
Bei uns, wie überfall im Mittelmeerraum, fangen die Oliven an zu blühen, die Apfelsinen machen es schon länger. Es duftet wunderbar und der Wind und die Bienen tun ihre Arbeit. Wie immer hoffen wir, dass die delikaten und langsamen Reifungsprozesse bis hin zu den Oliven im Oktober gut ablaufen können d.h. wir hoffen, wie alle Bauern, dass es eine gute Ernte gibt. Wenn der Prozess durch die immer sichtbareren  Klimawandeleffekte gestört oder sogare unterbrochen wird, dann denken auch wir  - wie unsere Kollegen auf der anderen Seite des grossen Meeres - , dass wir es vielleicht irgendwann nicht mehr schaffen und uns auf eine Reise vorbereiten müssen.



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